Musikbuch Verlag Berlin®
EULITZ
Neben
dem Orchesterspiel als Violinist bin ich seit 1979 Heilpädagoge
für Musikererkrankungen bei Streichinstrumentalisten.
Methodologischer Ansatz der Heilpädagogik ist zum Unterschied von
Alexandertechnik und Feldenkraismethode eine gezielte
spielphysiologische Analyse unter dem Aspekt der aufgetretenen
Spielstörung und ihrer körperlichen Beschwerden, der sich eine
aufklärend- spielphysiologische, entlastende Umschulung
anschließt. Hierbei entwickelte sich eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit mit Orthopäden, Handchirurgen, Neurologen,
Psychologen, Physiotharapeuten und Arbeitsphysiologen.
Mit
dem spielfunktionalen Hintergrund bei instrumentalen Überlastungen
oder spielmethodischen Störungen ergaben sich auch neue anatomisch
funktionale Erkenntnisse zur Physiologie des Violinspiels, die vom Autor
veröffentlicht wurden. Denn das bisherige Angebot physiologische
Fachliteratur für die musikinstrumentale Großfamilie der
Violinisten und Violaisten steht noch auf dem Wissensangebot der 20-er
bis 60-er Jahre unseres ausgehenden Jahrhunderts. Sie entsprechen schon
lange nicht mehr wissenschaftlich fundierten und detailliert
Grundlagentechnik beschreibenden Anforderungen. Die ausbildende
Pädagogik und die spielkörperlich interessierten Musiker
brauchen eine Informationsquelle, die der Verantwortung beim langen
Ausbildungsweg eines Streichinstrumentalisten gerecht wird.
Der
Kontakt mit Medizinern und die fehlende Primärliteratur über
Kinematik des Arbeitsarmes bestätigten, dass neuere Untersuchungen
zu dieser Thematik auch von der Medizin vernachlässigt werden.
Hier
einige Punkte über das Wissensangebot der hier vorzustellenden
veröffentlichten Monografien:
Für
die linke Greifhand und den rechten Bogenarm galt es zu klären,
wie und wo in der Ganzarm-Gliederkette von der Schulter bis zu den
Fingern die Bewegungsimpulse stattfinden, wie sich kinematisch das
Gliederzusammenspiel bei zunehmenden Kräften durch schnellere
musikalische Tempi und größere Tonstärken
verändert. Die Arbeitsweise der mehrgelenkigen langen Arm-Hand- und
Fingermuskeln bildet das Arbeitsregime für die motorische
Abstimmung zwischen Abstützung und Bewegung innerhalb der
Ganzarmkinematik. Aus anatomischer Sicht brauchen alle Muskelaktionen
zum Bewegen der Armglieder auch eine entsprechende anderweitige
gliedmäßige Stabilisierung oder Abstützung durch
Haltemuskeln, damit die Bewegung an dem beabsichtigten Gelenk
abgesichert ist. Dabei müssen auch die mitbewegenden
Nebenwirkungen, die als Synkinesen gelten, auf die mitüberzogenen
Gelenke eingearbeitet werden. Dafür muss
gliedmäßig der Verlauf der Muskeln beachtet werden. An
welchem Glied beginnen ihre anfänglichen sehnigen Ursprünge,
wie und wo verlaufen ihre kontrahierenden Muskelbäuche, über
welche Glieder und Gelenke ziehen sie, bis sie zu ihren wiederum sehnig
endenden Ansätzen an ihrem Endglied gelangen. Violinistisch werden
die entstehenden Synkinesen einerseits ausgenützt für weiche
mehrgliedrige Gliederbewegungen bis zu einer mittleren Kraftgrenze oder
andererseits diese Mitbewegungen aus kraftdefizitären Gründen
durch Gelenkstabilisierungen von anderen Muskeln unterbunden, um eine
alleinige beabsichtigte Gelenkwirkung woanders zu
gewährleisten.
Wenn
man z. B. bedenkt, welche langen Wege die langen Fingermuskel vom
Ellenbogen bis zur Fingerspitze berücksichtigen müssen, ehe
sie links auf der Violine greifen oder rechts den streichenden Bogen
führen können. Die einsetzenden Stabilisierungsvorgänge
laufen allgemein unbewusst , reflektorisch ab. Desweiteren musste
die Wirkung der eingelenkig kurzen Arm- und Handbinnenmuskulatur
eingearbeitet werden, die zu einer Aufweichung der zwischengliedrigen
Stabilisierungszwänge der langen Muskeln führt. Für den
Ganzarm besteht ein einheitlicher Spannungsbogen zwischen
allen Bewegungs- und Stabilisierungfunktionen.
(E =
m/2 v²), also die quadratische Beziehung der
Bewegungsgeschwindigkeit mit dem Faktor Masse prägt die
Arbeitsenergie, auch die der Muskulatur, somit auch für die
muskuläre Motorik violinistischer Bewegungen zutreffend. Bei Tempo-
und Lautstärkezunahme vermehrt sich die proximale (= Richtung
Oberarm) Stabilisierung , während sich die Antriebe nach distal (=
Richtung Finger) verlagern. Insgesamt gibt es dabei regelhafte
Abstimmungen, die vom Spielgefühl und durch Beobachtung darstellbar
wurden und nicht zu umgehen sind. Diese regelhaften Abstimmungen werden
als ein generalisiertes zentrales Spielgefühl vom fertigen
Streichinstrumentalisten für alle Technikanforderungen
fließend eingesetzt. So lassen sich, ähnlich den
klinischen Methoden der Mediziner, aus einer anatomischen
Zwischenposition eines professionellen Violinisten detaillierte
Beschreibungen und kinematische Ketten aller beteiligten Glieder des
Gesamtarmes für grundlegende Violintechniken ableiten.
Als
Ergebnis für die linke Greifhand zur Violinsaite lassen sich
die muskulären, gelenkiigen, gliedmäßigen
Aufsatzbedingungen der Finger, das Schwingungsverhalten von Arm und Hand
bei den Vibratoarten, die biomechanischen Bewegungsabläufe
und das spielfunktionale Arbeitsumfeld beschreiben.
siehe
INHALT, REZENSION von "Motorik und Biomechanik des Violinvibratos und
Fingeraufsatzes / Die spielmuskuläre Synkinesen und
arbeitsphysiologischen Kriterien der linken Geigerhand"
Für
den rechten Bogenarm beim Streichen der Violinsaiten
interessiert die Abstimmung zwischen Oberarm, Unterarm, Mittelhand und
Finger. Durch unterschiedliche Tempo- und Kraftanforderungen ändert
sich ständig das kinematische Gesamtbild auch bei gleichen
Stricharten. Wie passt sich der Arm den zyklischen
Strichbedingungen zwischen Abstrich und Aufstrich an? Welche Rolle
übernimmt der Oberarm bei den schneller werdenden Unterarmstrichen,
zu welchen Bewegungen ist dabei die Mittelhand noch fähig, zu
welchem Bewegungsspiel noch der Fingerstrich trotz der
zunehmenden Fngerfixation im Bogengriff? Dabei haben wir es teilweise
mit gemischt stabilisierten und bewegenden Gliedern zu tun und mit
gemischt aktiven und passiven Bewegungen innerhalb der
verschiedenartigen kinematischen Ketten der verschiedenen
Grundstricharten.
Durch
Reibung, Druck und Kontaktgefühl der linken Greiffinger und
der rechten Bogenfinger erhöhen sich die für die Feinmotorik
wichtigen bewegungsregelnden sensiblen Rückkopplungsmeldungen der
dort hochgradig angesiedelten nervlichen Wahrnehmungsorgane, den
Rezeptoren. Somit können die Finger mit ihrem unmittelbarsten
Kontakt für die Tonbildung die Gesamtführung übernehmen.
Die
hier abgeleiteten regelhaften Abstimmungen der Muskel- und
Gliederarbeit werden von den Violinisten schon lange unbewusst
spielmethodisch anerkannt, konnten bisher aber nicht erklärt
werden. Diese Ableitungen führten sie zu einem generellen
körperfunktionalen Verständnis violintechnischer Grundlagen,
was wiederum spielpraktisch zur ihrer Vereinfachung und Standardisierung
beiträgt. Damit könnte auch die technische Ausbildung
wesentlich verkürzt und Fehlentwichklungen, die häufig zu
einer Ausbildungsverlängerung oder Sackgasse führen,
vermieden weden. Fallbeispiele von spielfunktionalen
Störungen, sei es bei der Geigenhaltung, der Greifhand oder dem
Bogenarm, untermauern die abgeleiteten arbeitsphysiologischen Kriterien
des Violinspiels.
REZENSION "Das
Muskel-Gliederspiel des Geiger-Bogenarmes / Das Geigenspiel als Arbeit"
von Friedemann Köhlerin in
"Das Orchester" 9/98 Schott Verlag:
Nach
seiner Arbeit über die linke Geigerhand (s. Rezension in Heft 3/96)
liegt hier nun eine Untersuchung der Funktionen des Bogenarmes und der
Bogenhand von Wolf-Dietrich Eulitz vor. Sie besteht aus drei Teilen,
die wiederum in insgesamt 22 Abschnitte gegliedert sind. Schon diese
Äußerlichkeit läßt auf eine umfassende Analyse
des Sachgebiets schließen, und in der Tat handelt es sich um sehr
fundierte und sehr ausführliche Beschreibungen der
bogentechnischen Gegebenheiten und der sie verursachenden
Muskel-Gliederfunktionen.
Das
läßt sich ohne Einblick in die anatomischen Verhältnisse
der Arm- und Handglieder nicht bewerkstelligen, so daß diese
Arbeit zumindest teilweise der medizinischen Literatur zugerechnet
werden kann, zumal es, wie der Autor im Vorwort schreibt, dort "keine
ähnlichen anatomisch-arbeitsphysiologischen Untersuchungen " gibt.
Zwar sind Streichern Begriffe wie Pronation, Supination u. a.
inzwischen geläufig geworden, andere hier erwähnte
gehören jedoch mehr in den ausschließlich medizinischen
Bereich.
So
ist dieses Buch einem Lehrbuch ähnlich aufgebaut. Der erste Teil
beschreibt die "Grundstrichfunktionen". Ausgehend von der Einteilung des
Bogenarmes in Schlüsselbein, Schulterblatt, Oberarm, Unterarm,
Mittelhand und Finger führt er über die Motorik und Kinematik
des Ganzbogen-Grundstrichs, den Bogengriff, Schwungstriche,
Bewegungsumkehr, unterschiedliche Oberarm-Haltungen und Saitenwechsel
zum zweiten Teil, der verschiedene Stricharten (Fingerstrich,
Détaché, Martelé, Staccato, Spiccato,
Sautillé u.a.) beinhaltet.
Der
dritte Teil ist überschrieben mit "Das Geigenspiel als Arbeit". Er
beschäftigt sich mit der Geigenhaltung, der unterschiedlichen
Zuständigkeit der Gehirnhälften beim Spielen, der Koordination
von links und rechts, dann auch mit Berufserkrankungen,
Erwartungsangst-Bogenzittern und schließlich mit der
Konditionierung des Geigers sowie Körpebautypen bis zu
geschlechtsspezifischen Unterschieden und deren Auswirkungen auf das
Geigenspiel.
Insgesamt
handelt es sich hier um eine zweifellos sehr interessante und wichtige
Arbeit, die in vielen Fällen auch entscheidende Hilfe leisten kann.
Sollten die Ausführungen, Erklärungen, Bezüge,
Bedingungen und Konsequenzen, von denen hier die Rede ist, bei einigen
Streichern Verwunderung oder gar Ängste hervorrufen, so sei denen
gesagt, daß es durchaus nicht ungewöhnlich ist, daß es
Musiker gibt, bei denen die richtigen Funktionen "unterbewußt und
damit ohne großes Üben" ablaufen.
Weitere
Veröffentlichungen und Vorträge des Verfassers:
Zu
einigen methodischen, orchesterpraktischen, funktionell anatomischen und
physiologischen Analysen von Spielerkrankungen. ESTA-Bulletin der
DDR, Berlin Nr. 2/ 1982
Probleme
der geigerischen Muskelfunktionen. ESTA-Bulletin der DDR, Berlin
Nr.4/1984
Muskuläre
Spannungsprobleme beim Geigenspiel. Arbeitsmedizinische
Informationen für Theater und Orchester der DDR, 7/1984/1
Funktionelle
Kriterien beim Bogenarm des Geigers . Arbeitsmedizinische
Informationen für Theater und Orchester der DDR 8/1985/2
Motorik
des Violinvibratos. ESTA-Nachrichten der BRD Nr. 35/1996
Arbeitsphysiologische
Kriterien der linken Geigerhand. Das Orchester H. 5/1996,
Schott-Mainz
Spielmuskuläre
Synkinesen des geigerischen Bewegungsapparates. Vortrag auf dem 4.
Europäischen Kongress für Musikermedizin und Musikphysiologie
in Hannover, Sept. 1996
Heilpädagogik
für geigerische Spielstörungen als Funktionsanalyse mit
Muskel-Gliederabstimmung der Greifhand, Geigenhaltung und des
Bogenarmes. Workshop auf dem 6. Europäischen Kongress für
Musikermedizin und Musikphysiologie in Berlin an de HDK im Okt. 98
Zur
Muskel-Gliederarbeit des Geiger-Bogenarmes / Eine komplexe
Bewegungsuntersuchung. Das Orchester H. 4/1999 Schott - Mainz
Synkinesen
und kinematische Ketten von Arm und Hand beim Violinspiel. Vortrag
auf dem 6. Kongress der Europäischen Gesellschaft für
Handchirurgie im Mai 1999 in Bonn
Zur
Muskel-Gliederarbeit des Geiger-Bogenarmes / Eine komplexe
Bewegungsuntersuchung. Musikphysiologie und Musikermedizin 3/99 Mainz